Sonntag, 30. Mai 2010

Heute weder Hamlet

"Kitsch und Kolportage"
Ich bin gerade durch Dracula durch und das Zitat ist mir spontan wieder in den Sinn gekommen. Originalerweise ist es eigentlich aus "Heute weder Hamlet" - subjektiv eines der besten Stücke die ich je gesehen habe.

Das soll die anderen Stücke nicht abwerten, aber die ausgefallene Hamletaufführung hängt die Messlatte wirklich verdammt hoch.

Die Handlung ist recht einfach zusammen zu fassen: Hamlet fällt aus, der Hauptdarsteller hat sich das Bein verletzt, glatter Bruch, nichts ernstes, aber nun heißt es eben: heute weder Hamlet, noch sonst irgendwas.
Das verwirrte Publikum, schon vorgewarnt, weigert sich einfach zu verschwinden und so hat Ingo Sassmann seinen großen Abend. In einem einzigen großen Monolog läßt er sein Leben Revue passieren: Stationen einer Schauspielkarriere, die unverschuldet scheiterte.

Bis hierher ist alles richtig, erklärt aber nicht, warum dieses Stück mich derart mitgenommen hat, dass ich die ersten paar Minuten danach nicht ansprechbar war. (Wahre Geschichte: Ein Schauspieler, der dieses Stück in einem anderen Teil von Deutschland geben wird, hat mich nach dem letzten Satz gefragt. Er hatte ihn nicht verstanden und ich war einfach nicht in der Lage etwas auch nur in Ansätzen Intelligentes zu erwidern. Ich musste das Stück einfach erst mal setzen lassen.)

Im Grunde funktioniert die Geschichte auf mehreren Ebenen:

Erst einmal als Realitätsbrechung. Theater, das große "So tun als ob". So tun als ob eine Vorstellung wirklich ausfällt und ein Vorhangzieher mal eben über sein Leben berichtet, weil er heute nichts besseres vor hatte. Und ob das was er so sagt auf Halle bezogen ist, oder ob das alles so im Text stand, hängt nicht unwesentlich von der eigenen Meinung zu den hier erbrachten Leistungen ab.

Ob die Einblicke, die in den vermeintlichen Bühnenalltag gegeben werden, wirklich so authentisch sind, weiß ich nicht zu beurteilen. Wenn man die zwei amüsierten Damen hinter mir als Messlatte anlegt, dann auf jeden Fall. Der Witz ist, dass alles so sein könnte. Und das alles so glaubwürdig erscheint, dass wohl mehr als nur eine reale Theaterpanne Pate für dieses Stück stand. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass es in erster Linie ein Stück für Schauspieler ist, die sich einmal über ihren eigenen Alltag amüsieren möchten. Der ganze Rest nimmt einfach nur zur Kenntnis wie existentiell wichtig es sein kann, dass Joreks Schädel aus Hartplastik gefertigt wird; welche Rolle ein Vorhang in einer Aufführung spielt; wie Zähne ein Schicksal bestimmen können oder wie sich Realität und Fiktion manchmal spiegeln.

Für Shakespeareinteressierte wird auch noch eine nette Interpretationsweise von Hamlet gegeben.

Und all das zusammen, macht ein gutes Stück.

Ein wirklich Großartiges Stück wird es aber durch etwas anderes:
Das Stück beginnt, es darf gelacht werden, es wird auch. Ein einfacher Perspektivenwechsel auf die Bühne um 90 Grad kann den ganzen Hamletmythos entzaubern. Und während man sich noch freut, dass auch mit diesem Alt-Ehrwürdigen Stoff noch Schindluder zu treiben ist, kriecht langsam, erst unmerklich, dann immer deutlicher, eine ernste Note in das Stück. Bis einem plötzlich das Lachen im Halse stecken bleibt. Denn sehen wir der Sache doch mal ins Auge: ein falscher Reflex und eine ganze Karriere kann im Eimer sein. Und daran hängt ja wieder nicht nur ein Leben. Und dann, wenn man das eigene Lachen eigentlich schon für den Abend einmotten wollte, schafft das Stück noch einmal die Wende. Die Geschichte bleibt, sie wird auch nicht relativiert, und trotzdem geht man mit einem Lächeln auf den Lippen. Man lacht sogar noch einige Male herzhaft vor dem Schlußapplaus.

Das dramaturgisch zu schreiben und umzusetzen, dass ist ganz großes Können. Und vor allem weil ich so viel Tiefgang gar nicht erwartet hatte, hat sich dieses Stück einen ganz eigenen Platz in meinem Herzen erobert.

Zugegeben, der Zauber funktioniert vor allem weil man nicht weiß was einen erwartet. In so fern hoffe ich, dass ich das Stück für niemanden verdorben habe.

Aber wenn es nächste Spielzeit wieder läuft: UNBEDINGT ansehen.

(Nur noch eine kleine Warnung für Brillenträger. Peter W. Bachmann braucht offensichtlich keine Sehhilfe. Sonst wäre er in diesem Leben nie auf die Idee gekommen, gewohnheitsmäßig mit dem ausgestreckten Mittelfinger den Steg zwischen den beiden Gläsern auf der Nase zurecht zu schieben. Ein Freund hat versucht mir zu erklären: das müssen im Laufe der Proben so viele Leute gesehen haben, das ist wahrscheinlich Absicht. Ich glaube nicht, dass damit absichtlich das Publikum beleidigt werden soll. Also einfach drum herum schauen. Oder einen Check beim Optiker vereinbaren. Denn wem rutscht heute noch regelmäßig die Brille auf der Nase herum? Aber ansonsten: unbedingt sehenswert.)

Ach, übrigens...

Dinge die einem nur im Theater oder drum herum passieren können:

Ich war neulich wirklich anwesend, als eine Frau der Drang überkam mal eben die Haarlänge aller Anwesenden zu vermessen. Wie viele wissen auf den Zentimeter genau wie lang ihre Haare sind? Ich gehöre jetzt auf jeden Fall dazu... für die nächsten paar Wochen.

Andere Stilblüten:

Es kann immer wieder mal passieren, dass man Mitarbeiter der Häuser im Zuschauerraum findet. So etwas nimmt man normalerweise mal kurz zur Kenntnis und gut ist - wenn man sie den überhaupt erkennt. Die Leute wollen immerhin auch in Ruhe ihr Bier trinken bzw. den Abend genießen. Wirklich interessant wir es dann meistens erst wieder beim Schlußapplaus, wenn man den Seitenblick wagt "Na, wie hat es denen gefallen?" und gerade weil sie das ahnen sieht man normalerweise begeistert klatschende Menschen.
Eine Ausnahme bildete Heute weder Hamlet, bei dem die beiden Damen hinter mir schon während des Stücks dermaßen begeistert und anhaltend lachten, dass sich die ersten Zuschauer umsahen, wo das Geräusch denn her kam.

Es kann auch passieren, dass man neben Freunden oder Bekannten von Darstellern landet, oder neben deren Kindern:
Ein junges Mädchen hat mir damals in der Carmina Burana erklärt, dass ein Schwan in der Pfanne starb. Ich persönlich hatte das inhaltlich nicht verstanden, begreife auch bis heute nicht was ein Schwan in der Carmina Burana zu suchen hat; fand es aber nett, dass mir dies jemand erklärte. Das Mädchen war höchstens 12.
Ein anderer Evergreen aus Madam Pompadour: Es gibt eine Bettszene, optisch sehr schön gelöst, als plötzlich eine Stimme in den Saal fragte "Mama, was machen die da?" Wenn ich das richtig mitbekam hatte Mama die Beantwortung dieser Frage spontan auf zuhause verschoben.
Und auch sehr nett: ich saß neulich in einer Veranstaltung neben einem Pärchen, scheinbar Bekannte des Hauptdarstellers, die ihre teuer erworbene Eintrittskarte nutzten, um heiteres Patzer-Raten zu spielen. Eine Sportart in der ich langsam auch immer besser werde.

Und neben ein oder zwei anderen Anekdoten lernt man vor allem eines:
es darf gelacht und geklatscht werden.
Ich habe immer noch einen Bekannten vor Augen, der nach seinem ersten nicht von der Schule organisierten Theaterbesuch, total baff war. Dass man im Theater lachen darf, dass man das nicht nur kann, sondern auch soll. Darauf hatte ihn das Abitur gar nicht adäquat vorbereitet.
Darum: wenn es lustig ist, nicht auf die Zunge beißen. Einfach raus lassen. Die Menschen auf und hinter der Bühne freuen sich darüber. Und wenn es gut ist, einfach mal die Hände zusammen hauen. Nicht warten, ob ein anderer anfängt, sondern einfach selbst tun. Dann ziehen meistens auch andere nach.

Und mit diesem Wort zum Sonntag, werde ich jetzt erst mal wieder meine Zähne in Dracula versenken und danach überlegen zu welchen Stücken ich sonst noch meine Meinung in die Gegend tröten wollte...

Dienstag, 25. Mai 2010

Der Mond ist inzwischen ersoffen - Schauriges zur Nacht

Um den Kulturschock des Wunderhorns zu verkraften, habe ich mir an dem Abend noch ein weiteres Stück gegönnt: Der Mond ist inzwischen ersoffen - Schauriges zur Nacht.

Das Hoftheater macht bei etwas milderen Temperaturen sicherlich noch mehr Spaß, aber ein Sternenklarer Himmel und Makaberes zum warm werden, sind keine grundlegend falsche Kombination.

Das Programm selbst war bunt gemischt. Nur leider sind die meisten Pointen mit etwas Übung absehbar. Was aber das Programm nicht abwerten soll. Schon allein für die Parodie auf Schillers Handschuh hätte ich mich aus dem Haus bewegt. So richtig alt fühlte ich mich, als plötzlich von Knorkator "Weg nach unten" erklang. Und der Sketch, der strukturell dem Lied "Nichts von Bedeutung" von Max Raabe gleicht, macht immerhin auch dann noch Spaß, wenn man die wahrscheinliche Pointe schon kennt.

Und nicht alles war zur Erheiterung gedacht. Eherbrecher, die in den Gräbern ihrer Geliebten landen, oder Dauerschwangere, die ihr achtes Kind lieber Umbringen als es groß zu ziehen, sorgen dafür, dass für wirklich jede Schauerstufe was dabei ist.

Und - vielleicht bin ich ja leicht zu beeindrucken, aber es ist trotzdem nicht selbstverständlich - dass im Grunde jeder auf der Bühne mindestens ein Instrument beherrschte, fand ich doch bemerkenswert. Und ich rede hier nicht vom Kamm, sondern von Gitarre, Mundharmonika, Akkordeon, einem Mini-Keyboard und von einem als Trommel umfunktionierten Mülleimer - also die Dinge, die man nicht unbedingt an einem verregneten Sonntag lernt.

Auch wenn nicht jede Pointe Begeisterungsstürme weckt, war das Stück alle in allem durchaus sehenswert. Und unterhaltsam. (Und ich fühle mich immer noch alt...)

Und - Überraschungserkenntnis des Abends - Andreas Range ist noch immer in Halle. Schön, dass ich das nach einem Dreivierteljahr auf dem Bildungszug durch die Bühnen Halle auch endlich mal mitbekomme. Eine Freundin von mir war Riesen-Fan von ihm, als sie mich damals zu den Singenden Rucksäcken mitgeschleift hat und ich für meinen Teil würde mich zumindest zu der Aussage hinreißen lassen, dass an dem Mann ein Komiker verloren gegangen ist. Zumindest was seine Gesichtszüge angeht. (Da freu' ich mich auf die 39 Stufen doch gleich mal doppelt)

Wer eines Nachts mal wirklich nichts zu tun hat und zu einem etwas makaberen Humor neigt, ist hiermit auf jeden Fall gut beraten.

Einziger Wermutstropfen: so weit ich weiß gibt es hierzu kein Programmheft. Bei einigen Sachen hätte ich schon gern mal gewusst, wo sie her sind und was man zur Selbstbespaßung vielleicht noch an Werken anschließen könnte.

Montag, 24. Mai 2010

Wunderhorn

Manchmal würde es helfen, vorher mal die Tagespresse zu studieren, was einen so erwarten könnte. Gut, mein Empfinden und die Bewertung der MZ laufen normalerweise auseinander, aber in dem Fall hätte ich wenigstens vorher gewusst, dass es sich nicht um einen Liederabend, sondern um eine moderne Oper handelt. Und genau das hätte mich wahrscheinlich effektiv davon abgehalten, mir die Karte für diese Veranstaltung zu holen.

Was an mir und meinem fehlenden musikalischen Verständnis liegt, nicht am Stück.

Falls jemand hier vor hat sich das Stück anzusehen: ich empfehle dringend die zwei Euro für ein Programmheft zu investieren. Abgesehen davon, dass man den Liedtext mitlesen kann, erklärt es einem auch gleich noch, was man da vermeintlich sieht und hört...

Nun ist es nicht so, dass ich keine eigene Meinung habe. Die würde so aber wirklich niemand ins Programmheft schreiben.

Fangen wir mal mit etwas einfachem an:
Architektur und so. Die neue Residenz gewinnt keinen Schönheitspreis, hat aber eine gute Akustik. Oder wie ich sagen würde: eine zu gute. Ich habe selten so deutlich gehört wie Darsteller den Einsatz des Chors anatmen; die Dame am Horn braucht ja auch Sauerstoff und dann war da noch der Kerl irgendwo rechts, der sich standhaft weigerte sein Problem mit einem Taschentuch zu beheben.
Aber so etwas bringt wohl nur mich auf die Palme.

Und dabei hatte das Stück WIRKLICH gut angefangen. Ich bin immer noch beeindruckt, dass der Darsteller des Heinrich - seines Zeichens gebürtiger Isländer - akzentfrei gesungen hat. Im Publikum saßen drei Solisten des Opernhauses, so dass ich mir eigentlich dachte "Wenn die zu einer Vorstellung kommen, muß es gut sein". Und da ich normalerweise für Realitätsbrechungen sehr empfänglich bin, habe ich mich in den ersten 10 bis 15 Minuten gut amüsiert... und mich dann verzweifelt gefragt, was ich da eigentlich sehe...

Abgesehen davon, dass es an manchen Stellen schwer ist zu folgen, habe ich irgendwann den Faden verloren, ob die Handlung in dem nachgebauten Puppentheater oder die drum herum die eigentlich wichtige war. Ein Blick in das Programmheft verrät: Das ich Musik in der 10ten abgewählt habe, war hier der eigentliche Nachteil. Sie stand im Mittelpunkt. Oder was man halt so als Musik bezeichnet... Ich habe also im Stück angefangen mir das schön zu lesen, was ich intellektuell einfach nicht verstanden habe.

Die Stimmen des Chors imitieren einzelne Instrumente und die Zuordnung wechselt?
Ah...ja...erm...
Die anderen Stilblüten in dem Heft möchte ich gar nicht erst erwähnen. So kann nur jemand schreiben, der Musik auf einem Level versteht, das ich in diesem Leben nicht mehr erreichen werde, noch erreichen möchte.

Aber - und das passiert mir in Halle auch nicht zum ersten Mal - ich habe ein wenig der frei werdenen Zeit genutzt mich umzusehen und mehr als nur einen gefunden, der wiederholt das Programmheft konsultierte. Ich dachte schon, andere würden genauso leiden wie ich. Die Gesichtsausdrücke legten dies zumindest nah... bis zum Schlußapplaus. Scheinbar haben die sich alle SEHR innerlich gefreut und am Ende geklatscht wie auf einem Robbin Williams Konzert...

Das sind die berühmten Momente in denen die Selbstwahrnehmung und die Reaktion Anderer auseinander driften. Ein Phänomen das Volker Pispers mal mit dem Konzept der gefühlten Wirklichkeit erklärt hat.

Gefühlt war es atonale Musik mit verworrener Handlung, der man nur bedingt folgen konnte. Und einiges war schon rein akustisch schwer zu erfassen. Realistisch war es scheinbar ein hoch intelligentes Stück mit anspruchsvoller musikalischer Struktur und tiefen existentiellen Problemen...

Und wer wissen will, welche der beiden Interpretationen nun subjektiv für ihn oder sie wahrscheinlicher ist, sollte einfach mal hin gehen.
Dem Programmheft nach zu schließen könnte ein Musikwissenschaftler damit wirklich seinen Spaß haben. Für alle anderen... Tja... Es gibt auf dem Spielplan wirklich einfacher zugängliche Stücke. Vielleicht sollte man mit einem davon anfangen.

Freitag, 21. Mai 2010

Edgar Allan Poe

Ich hatte mich irgendwann vor dem Abi - lang lang ist's her - ernsthaft an diesen modernen Produktionen übersehen, die damals vor allem im Thalia Theater liefen. Eine Freundin hatte mich zwischendurch mal zu den Singenden Rucksäcken im nT mitgenommen. Aber sonst? Nichts.
Und ich glaube mittlerweile: hätte ich mir im September letzten Jahres irgend etwas anderes als Edgar Allan Poe angesehen, dann wäre das noch heute so. Ich wäre danach wahrscheinlich nicht wieder gekommen.

Poe ist im Grunde wie eine Fliegenfalle für Germanisten. Und bis ich begriffen hatte, dass sie zugeschnappt war, war es längst zu spät.

Das bemerkenswerte an diesem Stück ist, dass es auch funktioniert, wenn man absolut keine Ahnung hat. Das war mein damaliger Geisteszustand: "lass'n mer uns ma überraschen". Und die erste Viertelstunde war der Fluchtreflex zumindest bei mir sogar ziemlich stark. Minimalistisches Bühnenbild, unverständliche Tänzer, abrupte Szenenwechsel und die Texte lösten auch nicht sofort Ohrwürmer aus.
Aber nachdem sich der Fluchtreflex einmal gelegt hatte, habe ich mir in der Pause tatsächlich die CD gekauft und höre diese sogar heute - ein Dreivierteljahr später - immer noch gerne.

Was war geschehen?
Irgendwann wich die Klage über das minimalistische Bühnenbild der Faszination, dass man gut 2/3 des Stückes mit vier schiebbaren L-Stücken bestreiten kann und dabei auf immer wieder andere Bühnenbilder kommt. Man gewöhnt sich an die Tänzer - vor allem wenn noch Handlung dabei ist, die Musik fräst sich ohnehin ihren eigenen Platz im Hirn zurecht und wenn man einmal im Stück drin ist, kann man auch folgen.

Gut, ich habe das Ende damals trotzdem für Kitsch gehalten. "Wenn ihr mich hören könnt bin ich unsterblich" mag ja eine tolle Pointe sein - nur ist Poe tot. Davon hat er nicht so viel. Zumindest meiner Meinung nach.

Fakt ist: wer da rein geht, erwartet dass sich mal wer über seinen Lieblingsautoren abgearbeitet hat, daraus ein Musical schrieb und gut ist: der wird auch gut unterhalten. Das Stück funktioniert ohne jede Vorkenntnis. Es gewinnt aber unglaublich, wenn man sich wirklich mal hinsetzt und sich ein wenig damit auseinandersetzt - vor allem wenn man das als persönliche Spielerei betreibt, und nicht als Universitäre Lernwerkstatt.

Meine Empfehlung für Einsteiger ist der Reclamband mit Poes Erzählungen, für Fortgeschrittene dann der Sammelschuber Sämtlicher Erzählungen aus dem Inselverlag. Die meisten Texte sind so kurz, dass man sich locker mal einen zwischendurch gönnen kann.
Und danach kann man sehr viel Spaß mit Wikipedia haben:
Griswold gab es wirklich, genauso wie Virginia und Elmira; der von Griswold im Stück verfaßte grottige Nachruf ist echt; Griswold selbst hatte auch nicht den Jackpot in der Lebenslotterie geknackt; es gibt einen sehr guten Grund warum die wichtigste Nebenfigur Reynolds heißt; Griswolds Frauen sind ein Kapitel für sich... Und wie Poes Werke nach Europa kamen ist auch amüsant.
Noch einen Abstecher über The Alan Parsons Project und irgendwo dazwischen hat man dann plötzlich begriffen: das ist kein Musical, das ist eine gesungene Biographie - was in sich extrem beeindruckend ist. Weil ernsthaft: wenn man um die Musik herum noch etwas erzählen möchte, hat man plötzlich gar nicht mehr so viel Zeit zur Verfügung. Vor allem wenn man nebenbei noch versucht auszuloten wo Wahrheit aufhört und Nachrede anfängt.

Und wenn man sich dann über Wochen hier und da und dort immer mal ein paar Schnipsel angelesen hat, dann paßt einem das Stück plötzlich wie ein Hausschuh. Die Übersetzung ist fantastisch gelungen, die Musik wirklich eingängig, dank der ständigen Glückswechsel bleibt man immer dabei und trotz einiger metaphorischer Stellen verliert das Stück nie die Bodenhaftung.
Und wie viel man von dem was man sich freiwillig angelesen hat wiederfindet ist einfach unglaublich. Irgendjemand hat da wirklich sehr viel Zeit investiert.

Oder anders formuliert: der perfekte Germanistenspielplatz.

Ja, ich habe Edgar Allan Poe mehr als einmal gesehen. Wesentlich mehr als ein mal. Vielleicht kenne ich es langsam sogar etwas zu gut. Wahrscheinlich werde ich trotzdem Pfingstmontag mit einigen Bekannten noch mal hin gehen. Und selbst wenn nicht: in der nächsten Spielzeit würde ich es mir sicherlich noch einmal ansehen. Wenn etwas dafür gesorgt hat, dass ich mir in einem Dreivierteljahr mindestens 16 weitere Stücke angesehen habe, dann kann es doch schon mal nicht grundlegend schlecht sein, oder?

Und genau damit hat sich Edgar Allan Poe auch den ersten Rezensionsplatz in diesem Blog verdient.

Donnerstag, 20. Mai 2010

Kultur was?

So, nachdem mich eine Freundin - höflich, aber bestimmt - darauf aufmerksam gemacht hat, dass es sich bei der Regelmäßigkeit mit der ich die Kultureinrichtungen dieser Stadt besuche, vielleicht lohnen könnte einen Blog darüber zu schreiben, hab ich mich nun wirklich mal hingesetzt...

Im Gegensatz zu ihr glaube ich nicht wirklich, dass es viele Leute interessieren wird, aber bitte: Prüfungen kommen immer näher und Eskapismus ist bekanntlich das Lieblingshobby der Studenten.

Sollte sie doch recht haben, folgen hier mal noch ein oder zwei Worte über mich, diesen Blog und was die Sterne orakeln:

Ich bin gebürtiger Hallenser und lebe immer noch hier. Wenn ich also über ein Theater oder über die Oper schreibe: es liegt mit Sicherheit in der Nähe der Saale, außer ich sage mal was anderes.
Dann bin ich Student. Wie viele habe ich einen mal schöneren, mal stressigeren Job, mit dem ich das ganze finanziere. Und meistens gehe ich in Oper oder Theater um mich abzulenken, oder weil ich wie auch immer auf ein Stück aufmerksam geworden bin, oder weil es interessant klingt, oder weil es mir wer empfohlen hat, oder, oder, oder...

Und warum heißt dieser Blog ausgerechnet Kulturjunkie?
Kurze Antwort: weil es ehrlich ist.
Kein Mensch - zumindest keiner den ich kenne - unterscheidet in seinem persönlichen Geschmack zwischen U und E (is so ein Universitäts-Ding: Entweder es ist Unterhaltung oder Education. Es kann angeblich nicht beides gleichzeitig sein.) Am Ende ist eh alles subjektiv. Wenn ich Brecht für eine Geißel der Menschheit halte, ist das mein Bier. Wenn ich morgens Dostojewski lese und Abends Marvelfilme schaue, dann ist das kein Widerspruch. Und wenn ich Oscar Wilde als den größten Schriftsteller der Menschheitsgeschichte ausrufe, dann ist das was? Richtig: rein subjektiv.
Ich bin grundsätzlich begeisterungsfähig. Wenn ich nicht glauben würde es wäre gut, würde ich das Geld in eine andere Theaterkarte, in ein anderes Buch, in einen anderen Film oder eine andere CD investieren. Hat ja auch keiner gesagt, dass Andere meine Meinung teilen müssen.

Vorerst soll es hier ohnehin nur um meine Meinung zu Oper- und Theaterproduktionen gehen. Der ganze Rest ergibt sich von allein.

Noch Fragen?
Dann kann es ja los gehen.