Montag, 4. April 2011

Lucrecia Borgia

Gestern fiel eindeutig in die Kategorie: "Es ist hervorragend, aber warum flippen hier Alle so aus?"

Kurz zum Inhalt:
Lucrecia Borgia entstammt einem sehr alten, machtvollen, aber wenig beliebten Geschlecht. Man unterstellt ihr Mord, Giftmord, Blutschande und noch ein paar Dinge mehr. Und ihr ist es gelungen ihren verlorenen Sohn aus einer früheren Beziehung wieder zu finden. (Wenn ich den Übertiteln richtig gefolgt bin, ist ihr Sohn gleichzeitig ihr Bruder. Aber ich denke, wenn das stimmen würde hätte es jemand in der Einführungsveranstaltung mal unterstrichen. Aber zumindest ist der Ruf der Borgia so, dass man das nicht direkt ausschließen sollte, selbst wenn ich mir irre.) Der Gute hat sich durch allerlei Heldentaten einen guten Ruf erarbeitet. Und er fühlt sich spontan zu der Borgia hingezogen. Ungefähr bis zu dem Moment, in dem ihm seine Freunde eröffnen, welche Freunde und Verwandte diese schon wegen der Borgia verloren haben.
Genarro, so heißt der junge Mann, reagiert etwas ungehalten. Auf der einen Seite hat er der Borgia von seiner Mutter erzählt, die er bewusst nie kennen gelernt hat und über die er bisher noch nie mit einem Menschen gesprochen hat.. Und sie hat ihm Mut zugesprochen. Aber auf der anderen Seite kann er das schwerlich für bare Münze nehmen, nach dem was seine Freunde ihm offenbart haben.
Um zu beweisen wie sehr er die Borgia verabscheut schände er ihren Namen. Er entfernt den ersten Buchstaben, so dass an ihrem Stadthaus nur noch 'orgia' steht. Gleichzeitig hat er aber auch kein Problem damit seine Tat zu gestehen und sich verhaften zu lassen.
Die Borgia selbst, von diesem Witz verständlicherweise wenig erbaut, fordert den Tod des Übeltäters und muss zu spät erkennen, dass sie damit beinahe ihren eigenen Sohn umbringt. Ihr Mann ist der festen Überzeugung Genarro wäre ihr Geliebter und so lässt er ihr nur die Wahl zwischen Erstechen oder Vergiften. Sie wählt Gift und schafft es tatsächlich Genarro auch noch das Gegengift zu verabreichen.
Nun ist er reichlich verwirrt was er davon halten soll, aber im Grunde auch vorgewarnt so schnell wie irgend möglich zu verschwinden. Ob das geglückt wäre werden wir nie erfahren. Er lässt sich nämlich von einem Freund breitschlagen noch ein letztes Fest zu besuchen, bevor es in den Morgenstunden fort gehen soll. Der vom Ehemann angeheuerte Schlägertrupp verschwindet also und lässt die Freunde in den sicheren Tod laufen.
Genarros Bauchgefühl warnt ihn, doch es ist zu spät. Die Borgia hat Rache geübt indem sie sämtliche Freunde Genarros - und aus Versehen auch ihn - vergiftet hat. Erst jetzt eröffnet sie ihm wer er wirklich ist. Aber da das Gegengift nur für ihn und nicht für seine Freunde reichen würde, weigert er sich dieses zu nehmen. Er stirbt praktisch in den Armen der Borgia.
Und erst jetzt, da es praktisch keine Konsequenzen mehr hat, erfährt der Ehemann der Borgia, wer da gestorben ist.
Der Traum der Borgia, sich über die Liebes eines Menschen retten zu können, bzw. von einem Menschen so sehr geliebt zu werden, dass sie darin ihren Frieden findet, ist damit gescheitert.

So, das war doch mal recht ausführlich. Und ja, es gibt ein oder zwei Parallelen zu Romeo und Julia. Seien wir ehrlich, aus heutiger Sicht hätte es allen Anwesenden gut getan, einfach mal miteinander zu reden. Auf der anderen Seite wäre uns dann eine sehr schöne Oper entgangen. Und das entschädigt dann doch für die eine oder andere menschliche Unzulänglichkeit.

Und bevor wir uns um die Solisten kümmern kommen wir noch kurz zur Arbeit von Frau Saskia Zschoch. Bühnenbild, Kostüme und Inszenierung gehen auf ihre Kappe. Und ich bin ehrlich, ich habe das in der Einführungsmatinee höflich zur Kenntnis genommen. Die ausgestellten Kostüme sahen jetzt nicht so umwerfend aus, vor allem so lange noch keiner drin steckte. Von Modeskizzen habe ich zu wenig Ahnung um einschätzen zu können was da an der Wand hing. Und das Modell der Bühne sah zwar interessant aus, legte es aber auch irgendwie nahe, dass auf einer praktisch leeren Bühne gespielt wird, was nun wirklich nicht immer gut gehen muss.
ABER (bewusst groß geschrieben) das hat erfreulicherweise funktioniert. Die Kleider sahen einmal angezogen hervorragend aus. Vor allem Romelia Lichtenstein hatte wirklich sehr schöne Stücke abbekommen. Insgesamt drei, falls ich das noch richtig im Kopf habe.
Die Bühne war tatsächlich fast leer, auch wenn es schwer fällt das mit ausreichend Nachdruck zu sagen, wenn immerhin die ganze Fläche von einer riesigen Schräge eingenommen wird. Aber ein oder zwei Details, wie ein paar schunkelnde Boote, Licht oder auch nur ein Schriftzug im Hintergrund helfen wirklich, jeder Szene einen eigenen Ort zu geben.
Die Kleidung ist auch in sich sehr konsistent. Nach dem bunten Fasching tragen die Männer fast durchgängig schwarz und die weiblichen Nebenrollen fast durchgängig weiß. Ein oder zwei sahen vor lauter Puder aus wie auf untot geschminkt. Aber alles in allem wirklich schön.
Mir persönlich hat nun der GSG 9 Aufzug des Schlägertruppes wenig gefallen, vor allem weil es die ansonsten sehr zeitlose Gestaltung im Hier und Jetzt verankert hat, aber bitte: ich finde ja eh fast immernoch was zu mäkeln. Es funktioniert. Ich habe einfach nur einen Moment gedacht: irgendwie passt das gerade nicht so ganz.


So, und damit wir hier heute auch noch ein Ende finden, sollten wir langsam mal zu den Darstellern kommen:
Romelia Lichtenstein war umwerfend. Ich habe nach Macbeth höflich zur Kenntnis genommen, dass sämtliche Musikwissenschaftler die ich kenne so etwas wie den inoffiziellen Romelia Lichtenstein Fanclub bilden. Ich bin vor lauter frieren kaum dazu gekommen das Stück zu genießen, aber alle die ich kenne hatten danach ein und den selben Satz im Mund: "Die Frau singt so geil!!!". Gut, teilweise in anderer Formulierung, aber nach dem vierten oder fünften Mal beginnt man zu merken, dass da irgendwas an einem vorbei gegangen ist. Dieses mal (in einem gepolsterten Sessel, mit annehmbaren Raumtemperaturen, in einem vollkommen anderen Stück) muss auch ich sagen: die Frau kann singen! Wenn man Ahnung hat nennt man so was einen lyrischen Koloratur Sopran (glaub ich). Ich bin mittlerweile so weit zu verstehen was das heißt, aber beim besten Willen noch nicht so weit, dass im aktiven Wortschatz mit zu verwenden. Oder von selbst zu erkennen. Ich habe das einfach nur in den ganzen Elogen aufgeschnappt, die in den letzten Tagen kursierten.
Zwischen butterweich und verletzlich bis schmetternd laut und verärgert ist wirklich alles dabei. Und ich bin immer noch begeistert, dass sie am Ende wirklich wie eine gebrochene Frau wirkte. Das hat ja in dem Sinne nichts mehr mit der Stimme zu tun, muss man über Körpersprache aber auch erst mal kommunizieren können.

Genarro wurde von Carlos Cortés gespielt. Wenn ich das aus der Einführung noch richtig im Kopf habe, ist er ein Mexikaner den es privat nach Wien verschlagen hat und der hier mit zum ersten Mal auf einer deutschen Bühne stand. Gesanglich ebenfalls top und mit einer gewissen stoischen Ruhe, die der Rolle sehr gut getan hat.

Ki-Hyun Park als eifersüchtiger Ehemann war ebenfalls sehr sehenswert. Und hinreichend selbstgefällig.

Genarros besten Freund Mafio Orsini spielte Ulrike Schneider. Ich weiß nicht ob ich mich in diesem Leben noch daran gewöhnen werde, dass offensichtliche Männerrollen eben so offensichtlich von Frauen gespielt werden. Aber eines muß man ganz klar sagen: Jeppo Livoretto gespielt von Christopher O'Connor, Don Apostolo Gazell gespielt von Christoph Stegemann, Ascanio Petrucci gespielt von Ásgeir Páll Ágústsson, Oloferno Vitellozo gespielt von Beyonghoon Chang und eben Ulrike Schneider als Mafio Orsini waren Kleidertechnisch alle samt sehr dezent in schwarz gekleidet, also auch optisch entsprechend der eher kleineren Rollen ein wenig zurück gesetzt und gleichzeitig stach Ulrike Schneider, praktisch als wichtigste Bezugsperson Genarros, wie von selbst heraus. Auf eine recht eigene Weise ist auch das brilliant gelöst.

In kleineren Auftritten bieten sich uns ebenfalls:
Gerd Vogel als Gubetta, eine Art gutmütiger, aber weitestgehend meinungsloser Vertrauter der Borgia, der Genarro für sie im Blick behalten soll und am Ende hilft alle zu vergiften.
Ralph Ertel als Rustighello gibt den schmierigen Vertrrauten des Herzogs und vergisst dabei nicht einmal seinen kleinen Finger abzuspreitzen.
Und Jürgen Trekel als Astolfo versucht sich als Überbringer einer Botschaft der Borgia, nimmt jedoch vor der überstarken Präsenz an Bewaffneten reißaus.

So, damit müssten wir nun langsam wirklich alles beisammen haben.
An der Stelle noch ein Lob an die Technik. In der ersten Hälfte des Stückes war die Tafel zum Mitlesen rechts etwas zu hell erleuchtet, was sich in der zweiten Hälfte des Stückes änderte. Das hat das Lesen wesentlich leichter gemacht. Und jemand hat mitgedacht.

Das Einzige was an dieser Stelle noch fehlt ist die Erklärung von dem Satz ganz oben.
Es war wirklich gut. Mir hat es gefallen. Mir hätte es wahrscheinlich noch besser gefallen, wenn nicht bei allen ruhigen Stellen jemand angefangen hätte mit seiner Handtasche zu knarzen.
Und sobald zwischen zwei Noten mal mehr als eine Sekunde Pause herrschte brüllte irgendwer ganz vorne Bravo. Und der Schlussapplaus dauerte im wahrsten Sinne des Wortes ewig.
Ich bin prinzipiell begeisterungsfähig, aber das hat ich dann doch ein wenig verwirrt. Die Bravo Rufe ließen in der zweiten Hälfte zum Glück nach. Wahrscheinlich weil die Handlung langsam dramatisch wurde und sich jemand beschwert hat, er möchte nicht aller paar Minuten aus seiner musikalischen Versenkung gebrüllt werden. Schätzt ich jetzt einfach mal so. Ein paar der artikulierten Beschweren auf dem Weg in die Pause legen das nahe.
Dazu kommt ja auch: ich bin Hallenser. Wir sind begeisterungsfähig, zeigen das aber ganz selten so offensichtlich. Wenn dann ein ganzer Saal dermaßen jubelt, kann man sich nur fragen, was man jetzt schon wieder verpasst hat. Vielleicht treffen da auch einfach Mentalitäten zusammen. Aber ich stehe vor solchen Gefühlsausbrüchen immer ein wenig ratlos. Was hören die, das mir entgeht?
Aber hey, sehen kann man es noch ein paar Mal. Und wer wissen möchte, wo zwischen meiner offenen Verwirrung und dem frenetischen Applaus die Wahrheit liegt, der geht am besten selbst hin.
Wer sich für Opern begeistern kann, wird es auf jeden Fall nicht bereuen. Und wer damit nichts anfangen kann, der hat eh nicht bis hier unten gelesen. Dafür ist es dieses Mal doch zu lang geworden.

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