Es gibt - öfter als Studenten lieb ist - Universitätsliteratur die einfach nur aggressiv macht. Paul Feeneys Bücher über die Kindheit in Großbritannien sind so ein Fall.
Wobei das ganze akzeptabel wird, wenn man die beiden Titel nebeneinander stellt.
In A 1950s Childhood - From Tin Baths to Bread and Dripping geht es, oh Wunder, um die tatsächlich sehr zahlreichen Neuerungen der 50er Jahre. Der Milchmann brachte seine Flaschen noch persönlich vorbei, die Heizung hatte einen kleinen Automaten in den man Münzen einwarf, die Kinder spielten auf der Straße, Autos gab es noch kaum, das Hauptmedium war das Radio und Mütter schneiderten noch selbst, neben den ganzen anderen Erledigungen, die täglich anfielen.
So paradiesisch das auf den ersten Blick klingt: auch in Großbritannien war im zweiten Weltkrieg viel zerbombt worden, es fehlt an allem möglichen und Essen war noch Rationiert. Die Sanitäranlagen befanden sich oft genug immer noch auf dem Hof - in Form eines Plumpsklos. Und die Prügelstrafe war in der Schule noch gang und gebe.
Was einem an solchen Schilderungen aufregt?
Nun, unzählige Radioberühmteheiten der Briten sind mir natürlich unbekannt. Damit kann ich leben, auch wenn sich der entsprechende Abschnitt nicht sonderlich spannend liest.
Aber wenn der Autor anfängt zu erklären ein Hoola-Hoop sei ein Reifen, den man um die Hüften schwingt; ein Jojo seien zwei Scheiben mit einem Steg in der Mitte und einem Faden dran, die man hoch und runter schwingen konnte; und dass man zum jonglieren Bälle nimmt!!! ... ich kam mir offen gestanden ein wenig verarscht vor.
Seilspringen, Gummihopse, Himmel-und-Hölle, Fange, Verstecke und dergleichen mehr hat er auf ähnlich narrensichere Weise beschrieben. Das mag ganz nett sein wenn man als nicht-Britischer Leser versucht die möglicherweise unbekannten Spielenamen einzuordnen, aber... käme man sich da als Engländer nicht auch ein wenig veralbert vor?
Und immer wieder der Hinweis dass noch alles frisch gekauft wurde und entsprechend kurz hielt und wie wichtig das Radio war... unter anderem dank Paul Temple.
Nun, wie dem auch sei, mit dieser geballten Ladung Nostalgie intus, ist man dann gewaffnet für den zweiten Teil:
A 1960s Childhood - From Tunderbirds to Beatlemania.
Das Kapitel über die Straßenspiele überfliegt man nur noch. Interessanter ist da schon die Feststellung, dass es immer mehr Autos gab und damit auch immer weniger Möglichkeiten auf den Straßen zu spielen. Radio wurde weniger wichtig, Fernsehen wurde das neue Hauptmedium... wenn nicht gerade Radio Luxemburg anfing das erste Programm zu senden das vornehmlich Jugendliche ansprach, an die hatte vorher nämlich kaum einer gedacht. Mode wurde wichtig, egal wie knapp das Taschengeld war. Die Spielzeuge und auch die Ansprüche wurden andere, unter anderem weil die jungen Kinder die Nachkriegszeit nicht oder weniger bewußt erlebt hatten. Nur der Wechsel von einer Schulform zur anderen gestalltete sich nach wie vor für alle gleich respekteinflößend.
Ich weiß, ein Haufen Allgemeinplätzchen die ich hier backe, aber irgendwie gerade aus der Sicht eines Kindes sehr nett verpackt.
Natürlich spielen in den 1960er Jahren eher die Fernsehstars eine Rolle. Und das eine oder andere wichtige Ereignis, wie etwa die Eroberung des Weltraumes, werden ebenfalls aufgelistet.
Alles in allem anschauliche Einblicke in Großbritannien um diese Zeit, aber wer die eine oder andere Kulturgeschichte über Deutschland gelesen hat, dem wird das meiste seltsam bekannt vorkommen. So verschieden waren wir dann gar nicht.
Was ich aber auf jeden Fall interessant fand, ist, dass es in den 50ern - vor den Zeiten der Massenimpfungen bei Kindern, durchaus üblich war nicht nur Kriegsversehrte, sondern auch wirklich von den heute eher als harmlos empfundenen Kinderkrankheiten gezeichnete Menschen zu sehen. Vor allem Polio bzw. Kinderlähmung muß damals wirklich grassiert sein. Und das alles in der Lebensspanne meiner Großeltern.
Am Wochenende gab es sogar eigene Kinoprogramm nur für Kinder. (Ich muss mal meinen Vater fragen, ob es so was ähnliches hier auch gab)
Die Prügelstrafe war auch noch vollkommen normal. Und ... naja.
Wer also mitunter etwas schmerzunempfindlich gegen Blödsinn ist und sich generell für Lebensrealtität in den 50er und 60er Jahren interessiert kann hier mal zugreifen. Ruhig auch beide zusammen. Den ersten Band liest man noch am Stück, beim zweiten bekommt man dann ein sehr gutes Gefühl dafür, wo der Autor sich selbst kopiert - wie ich glaube nicht weil sich nichts geändert hätte, sondern weil er einfach zu faul war das alles noch mal neu zu Papier zu bringen.
Nett, wenn auch wenig informativ.
Kann man durchaus gelesen haben, muss man aber wirklich nicht...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen