Samstag, 4. September 2021

Hamlet und Ich in der Volksbühne am Kaulenberg

Ich war mal wieder in der Volksbühne am Kaulenberg und ich muss an der Stelle eingestehen, dass ich vielleicht Theaterentzug hatte und möglicherweise auch Farbe beim trocknen zugesehen hätte (allerdings eher 2 1/2 Minuten und nicht, wie hier, zwei einhalb Stunden....)

ABER:

Das war ein wirklich, wirklich fantastischer Abend.

N. erklärt mir schon den halben Tag, dass ich ihr das falsch verkaufe wenn ich möchte, dass sie beim nächsten Mal mit kommt. Aber eigentlich geht es doch "nur" um Erwartungsmanagement.

Ich hatte am Dienstag schon mal mit Professor Schwieberdinger "geschwätzt" und danach ein wenig die Befürchtung Hamlet und Ich würde auf eine Neuauflage von Heute weder Hamlet hinaus laufen. (Auch ein wirklich fantastisches Stück, aber leider nur beim ersten Sehen.) Und N. hat noch die "Live" Übertragung von Hamlet aus dem National Theater in London im Kopf, die wir mal im Kino gesehen haben und die zugegebenermaßen unschlagbar war.

Wir hatten beide Unrecht, denn Hamlet und Ich ist eben nicht Hamlet, sondern eine sehr weit gefasst und humorvolle Erklärung zu Hamlet.

Die Faulheit in mir würde jetzt gerne darauf verweisen, dass Menschen die Romeo vs. Julia oder Faust als Solo gesehen haben, auch ungefähr einschätzen können was sie erwartet. 

Aber mit dem Ansatz müsste ich hier ja auch gar nicht erst anfangen zu schreiben.

Wir überspringen mal die Diskussion ob Shakespeare wirklich Shakespeare war. (Mein Lieblingszitat zum Thema - und ich habe leider vergessen von wem es stammt : "Shakespeares Werke wurden entweder von Shakespeare geschrieben - oder von einem anderen Gentleman gleichen Namens.")

Wenden wir uns statt dessen direkt Hamlet zu:

Um die wichtigsten Punkte zu nennen: Vater tot, Mutter neu verheiratet, das mit der Liebe ist auch so eine Sache... und Hamlet braucht grob 166 Reclamseiten um dazu eine belastbare Meinung zu finden.

Zu den Deutungen dieses Konstrukts haben sich schon weitaus intelligentere Menschen bemüht als ich.

Und ungefähr da ist auch der Punkt an dem Menschen, die kein Literaturwissenschaften studiert haben, diesen leicht glasig abwesenden Blick bekommen und innerlich schon mal den Einkaufszettel fürs Wochenende oder etwas vergleichbar existentielles durchplanen.

Ich verkaufe das wirklich falsch, oder?

Nicht weg laufen!

Ich verspreche: der Abend ist merklich besser.

Es ist und bleibt ein Ein-Mann-Stück.

Und natürlich könnte man befürchten, dass Professor Schwieberdinger als Alter Ego zu akademisch wird oder Jonas Schütte mit seinen Texten zu pathe.. erm, ich meine zu poetisch.

Aber all das wird gut umgangen, dank eines neuen Mitarbeiters des Kaulenbergs: Kalle, dem Hausmeister.

Kalle hat schon ein paar Hamletinszenierungen gehört (was man je nach Standpunkt beneidenswert oder bemitleidenswert finden kann) und ist so schnell durch gar nichts mehr aus der Ruhe zu bringen - von seinem reflexartigen Gefluche mal abgesehen. ^_~

Und da eine wichtige Requisite des Abends nirgendwo aufzufinden ist und das Publikum ja trotzdem irgend etwas sehen will, kommentiert sich Kalle mit Berliner Schnauze einfach selbst durch das Stück.

Das mag als Verkaufsargument fast reichen, wird aber noch besser.

Nicht, dass ich jetzt alle Witze verraten möchte, aber mal so als kleine Auswahl:

Dass Hamlets Mutter erstaunlich stark nach Marijke Amado klang war sicher wieder nur mein Kopf. Aber Deutschlands bester Schauspieler überhaupt kommt auch zu Wort. (Und auch wenn hinter mir der Wunsch nach Till Schweiger aufkam: nein, der ist es nicht.) Es gibt Musik. Anekdoten aus anderen Hamlet Aufführungen. Gefühlt fünf Minuten englischen Exkurs. Viel zu lachen. Und es gibt ein an sich komplett sinnbefreites, aber erstaunlich effektives Makeup. 

Und dank Standing Ovations haben wir am Ende noch drei Verbeugungen heraus geklatscht.

Oder in anders: es hat nicht nur mir gefallen, sondern auch den grob 40 anderen Anwesenden. 

Und ganz ehrlich: es war mal wieder Theater. In Live. Und echt. Mit direkten Reaktionen von anderen Menschen.

Ob deswegen Theater besser ist als Fernsehen (eine These die vertreten wurde und sich nur bedingt mit meinem Wissen über Fanculture deckt ^_^; ) sei jetzt mal dahin gestellt.

Aber es war ein rund um toller Abend.

Und auch wenn ich N. mittelschwer bestechen musste: der Plan ist, dass wir zur nächsten Vorstellung am 18ten zu Dritt auftauchen. Vielleicht hat ja noch jemand anderes Interesse?

Ach ja, und als kleine Belohnung, für Alle die den Text wirklich bis hier unten gelesen haben: mal noch zwei Songempfehlungen, die thematisch passen, aber in diesem Hamletabend nicht vorgekommen sind:

Von Abney Park "Dear Ophelia" und "Ophelia" von The Lumineers.

Und noch eine kurze Anekdote, um zu beweisen, dass Fernsehen nicht nur gut ist:
als ich ein ganzes Stück jünger war (gefühlt 10) hat Arte (ich glaube mitten am Tag) eine animierte Version von Hamlet ausgestrahlt. (Und ich habe nachgeschaut: nein, es war nicht Teil von Shakespeare: The Animated Tales, auch wenn die immernoch sehenswert sind.) Ich finde die nicht wieder, aber: Ophelia - reglos im Wasser, umgeben von blau, grün und gelben Blumen - habe ich heute noch vor Augen. Und deswegen ist ein eigener Fernseher für Kinder etwas tolles, aber pädagogisch schwierig. ;P

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