Freitag, 25. Juni 2010

Shockhead Peter

Also gut, noch schnell, bevor ich mich für heute hinlege:

Ich hatte eigentlich nicht die höchsten Erwartungen an Shockhead Peter. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass ich The Tiger Lillies im letzten Dreivierteljahr hier im Opernhaus live gesehen habe, und es war... nicht mein Geschmack.

Ich bin an und für sich relativ schmerzunempfindlich. Ich war von Le Comte Ory befremdet, habe mir aber die ganze Oper angesehen. Ich saß für Freunde auch schon über zwei Stunden in Oratorien. Und ich habe auch das Wunderhorn ohne bleibende Schäden überstanden. Aber bei den Tiger Lillies kam ich an meine Grenzen. Ich war wirklich ganz kurz davor mittendrin zu gehen. Das hängt auch mit dem etwas absurden britischen Humor zusammen (was will mir ein Mann sagen, der mit einem Sexspielzeug auf das Piano einhaut? zumal die Melodie darunter leidet), mit dem etwas übertriebenen Einsatzes des Theremin (was auf Dauer echt nervt - das Ding eignet sich hervorragend Geistergeräusche in 60er Jahrestreifen zu vertonen. Das muß man auch erst mal zwei Stunden ertragen können.) und dann war da noch die Stimme von Martyn Jacques. Ich persönliche finde tiefe Männerstimmen angenehm zum zuhören und hohe Männerstimmen sind auch kein Thema - in Maßen. Aber bei Martyn Jacques Stimme ist meine persönliche Schmerzgrenze einfach erreicht. (Zumal der Schlußapplaus bombastisch war, aber die Anwesenden - zumindest die, die ich sehen konnte - während der Vorstellung alle einen Gesichtsausdruck trugen, als wären sie in diesem Moment lieber beim Zahnarzt als in der Oper.)

Und - um auf den heutigen Abend zurück zu kommen - es ist nicht weiter schlimm, dass nicht jeder Sänger mit solch einer wandelbaren Stimme "gesegnet" ist wie Mister Jacques. Die Musik war wirklich hörenswert, auch wenn das spannungsaufbauende "Ich vollende den Satz jetzt mal nicht, sondern fange noch drei Mal von vorne an, bevor ich das Wort ausspreche, das hier eh alle erwarten" vielleicht etwas oft vorkam.

Ich gebe auch offen zu, dass ich es im Moment bereue, dass ich mir bisher nichts im Puppentheater angesehen habe. Die nächste Gelegenheit ist wohl auch noch ein wenig hin, aber ich werde es auf jeden Fall im Hinterkopf behalten.

Kommen wir jetzt endlich wirklich mal zum Stück:
Ein namenloser Bengel wird von seinen Eltern für einen Abend an einen Baby Sitter abgetreten. Die Babysitterin ist ein wenig irritiert, was sie mit dem vorlauten Fratz machen soll. Und ungefähr dort setzen dann auch diverse Erzählungen aus dem Struwwelpeter an - welche der Bengel mit Begeisterung verfolgt und welche seine Aufpasserin eher in Angst und Schrecken versetzen.

So, für die, deren Kindheit etwa genauso weit zurück reicht wie die meine und daher schon etwas dunkel ist: Es ging in dem Buch, naja, in dem Büchlein, nicht nur um den Struwwelpeter. Viel mehr handelt es sich um eine gereimte "Kurzgeschichtensammlung", in der auf grob 20 Seiten kindliches Fehlverhalten vorgeführt und in der Erzählung selbst bestraft wird, untermalt mit recht einprägsamen Zeichnungen. (Wiki hilft wie immer weiter)
Man kann das Buch als eine frühe Form der Kinderpsychologie lesen. ADHS, Magersucht, Depression - wenn man das so sehen möchte ist sind das in diesem Buch beschriebene Zustände.
Etwas netter ist die Version, in der Heinrich Hoffmann anfangen mußte den Struwwelpeter zu zeichnen, um überhaupt an seine jungen Patienten heran zu kommen. Beliebte Erziehungssprüche wie "wenn du nicht aufhörst zu ..., dann kommt der Arzt und..." hatten ihm nicht gerade einen einfachen Stand eingebracht. Die Geschichten waren eine Methode an die Kranken heran zu kommen. Und der Struwwelpeter war wohl damals als eine sehr frühe Form von Kino intendiert. Aus einem anfangs normalen Jungen wird im Laufe des Zeichnens ein immer wilderer Knabe und das Reden und Zeichnen weckt die Neugier der Patienten und hoffentlich auch ihre Kooperationsbereitschaft.

Literarischer Diskurs Ende. Nur eines noch: es soll wohl vollkommen im Interesse des Autoren gewesen sein, dass Kinder die Bücher auseinander nehmen. (physisch, nicht literarisch)

Und was hat das nun mit dem Stück zu tun?

Die kleinen Geschichtchen werden in Liedern nacherzählt und gleichzeitig auf einer Bühen auf der Bühne pantomimisch nachgestellt. Klingt komplizierter als es ist, man darf nur keine durchgehende Handlung erwarten.

Die Frau zwei rechts von mir meinte am Ende, das ganze wäre etwas schwer zugänglich gewesen. Vielleicht hat es am Ende wirklich was mit Übung zu tun, aber ich persönlich fand das Stück gut verständlich... vielleicht hat es auch geholfen, dass ich den Struwwelpeter Anfang des Jahres mal wieder gelesen hatte.

Die kleinen Episoden spielen ja im Grunde fast alle zuhause. Ma und Pa wurden von richtigen Schauspieler gespielt, allerdings pantomimisch und etwas übertrieben. Der Suppenkasper, Hans Guck in die Luft, der Struwwelpeter oder die Geschichte vom bösen Friedrich wurden mit Puppen oder Menschen mit Puppenköpfen gespielt - ebenfalls pantomimisch. Gesprochen haben - wenn ich das richtig im Kopf habe - nur die beiden Hauptpersonen und der Alptraummann.

Das Schöne ist einfach, dass durch die Pantomime das ganze ein wenig ins Absurde gezogen wurde und die Geschichten nicht mehr ganz so brutal wirkten wie sie eigentlich sind. Und: ich bin immer noch hin und weg, dass man aus so einer kleinen Puppe, auch wenn sie nur einen kurzen Auftritt für ein Lied hat, eine richtige Person machen. Zwar mit starrem Gesichtsausdruck, aber mit wirkungsvoller Gestik und eigenem Charakter...

Zumindest mir tat der böse Friedrich am Ende leid. Und das muß man auch erst mal schaffen: Mitleid zu erzeugen, mit einer Handpuppe, hinter der zwei Menschen in schwarz stehen und jede Bewegung steuern...

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