"Kitsch und Kolportage"
Ich bin gerade durch Dracula durch und das Zitat ist mir spontan wieder in den Sinn gekommen. Originalerweise ist es eigentlich aus "Heute weder Hamlet" - subjektiv eines der besten Stücke die ich je gesehen habe.
Das soll die anderen Stücke nicht abwerten, aber die ausgefallene Hamletaufführung hängt die Messlatte wirklich verdammt hoch.
Die Handlung ist recht einfach zusammen zu fassen: Hamlet fällt aus, der Hauptdarsteller hat sich das Bein verletzt, glatter Bruch, nichts ernstes, aber nun heißt es eben: heute weder Hamlet, noch sonst irgendwas.
Das verwirrte Publikum, schon vorgewarnt, weigert sich einfach zu verschwinden und so hat Ingo Sassmann seinen großen Abend. In einem einzigen großen Monolog läßt er sein Leben Revue passieren: Stationen einer Schauspielkarriere, die unverschuldet scheiterte.
Bis hierher ist alles richtig, erklärt aber nicht, warum dieses Stück mich derart mitgenommen hat, dass ich die ersten paar Minuten danach nicht ansprechbar war. (Wahre Geschichte: Ein Schauspieler, der dieses Stück in einem anderen Teil von Deutschland geben wird, hat mich nach dem letzten Satz gefragt. Er hatte ihn nicht verstanden und ich war einfach nicht in der Lage etwas auch nur in Ansätzen Intelligentes zu erwidern. Ich musste das Stück einfach erst mal setzen lassen.)
Im Grunde funktioniert die Geschichte auf mehreren Ebenen:
Erst einmal als Realitätsbrechung. Theater, das große "So tun als ob". So tun als ob eine Vorstellung wirklich ausfällt und ein Vorhangzieher mal eben über sein Leben berichtet, weil er heute nichts besseres vor hatte. Und ob das was er so sagt auf Halle bezogen ist, oder ob das alles so im Text stand, hängt nicht unwesentlich von der eigenen Meinung zu den hier erbrachten Leistungen ab.
Ob die Einblicke, die in den vermeintlichen Bühnenalltag gegeben werden, wirklich so authentisch sind, weiß ich nicht zu beurteilen. Wenn man die zwei amüsierten Damen hinter mir als Messlatte anlegt, dann auf jeden Fall. Der Witz ist, dass alles so sein könnte. Und das alles so glaubwürdig erscheint, dass wohl mehr als nur eine reale Theaterpanne Pate für dieses Stück stand. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass es in erster Linie ein Stück für Schauspieler ist, die sich einmal über ihren eigenen Alltag amüsieren möchten. Der ganze Rest nimmt einfach nur zur Kenntnis wie existentiell wichtig es sein kann, dass Joreks Schädel aus Hartplastik gefertigt wird; welche Rolle ein Vorhang in einer Aufführung spielt; wie Zähne ein Schicksal bestimmen können oder wie sich Realität und Fiktion manchmal spiegeln.
Für Shakespeareinteressierte wird auch noch eine nette Interpretationsweise von Hamlet gegeben.
Und all das zusammen, macht ein gutes Stück.
Ein wirklich Großartiges Stück wird es aber durch etwas anderes:
Das Stück beginnt, es darf gelacht werden, es wird auch. Ein einfacher Perspektivenwechsel auf die Bühne um 90 Grad kann den ganzen Hamletmythos entzaubern. Und während man sich noch freut, dass auch mit diesem Alt-Ehrwürdigen Stoff noch Schindluder zu treiben ist, kriecht langsam, erst unmerklich, dann immer deutlicher, eine ernste Note in das Stück. Bis einem plötzlich das Lachen im Halse stecken bleibt. Denn sehen wir der Sache doch mal ins Auge: ein falscher Reflex und eine ganze Karriere kann im Eimer sein. Und daran hängt ja wieder nicht nur ein Leben. Und dann, wenn man das eigene Lachen eigentlich schon für den Abend einmotten wollte, schafft das Stück noch einmal die Wende. Die Geschichte bleibt, sie wird auch nicht relativiert, und trotzdem geht man mit einem Lächeln auf den Lippen. Man lacht sogar noch einige Male herzhaft vor dem Schlußapplaus.
Das dramaturgisch zu schreiben und umzusetzen, dass ist ganz großes Können. Und vor allem weil ich so viel Tiefgang gar nicht erwartet hatte, hat sich dieses Stück einen ganz eigenen Platz in meinem Herzen erobert.
Zugegeben, der Zauber funktioniert vor allem weil man nicht weiß was einen erwartet. In so fern hoffe ich, dass ich das Stück für niemanden verdorben habe.
Aber wenn es nächste Spielzeit wieder läuft: UNBEDINGT ansehen.
(Nur noch eine kleine Warnung für Brillenträger. Peter W. Bachmann braucht offensichtlich keine Sehhilfe. Sonst wäre er in diesem Leben nie auf die Idee gekommen, gewohnheitsmäßig mit dem ausgestreckten Mittelfinger den Steg zwischen den beiden Gläsern auf der Nase zurecht zu schieben. Ein Freund hat versucht mir zu erklären: das müssen im Laufe der Proben so viele Leute gesehen haben, das ist wahrscheinlich Absicht. Ich glaube nicht, dass damit absichtlich das Publikum beleidigt werden soll. Also einfach drum herum schauen. Oder einen Check beim Optiker vereinbaren. Denn wem rutscht heute noch regelmäßig die Brille auf der Nase herum? Aber ansonsten: unbedingt sehenswert.)
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