Montag, 11. Oktober 2010

Anatevka

So, da war es also heute so weit: Anatevka, die erste Vorstellung nach der Premiere. Und da heute bei den Klippenspringern einfach kein Platz mehr frei war, gibt es auch mal halbwegs zeitnah eine Rezension.

Tja, und wie machen wir das heute? Kommen wir erst mal zum Stück und dann hätte ich gerne mal einen Grundkurs Opernknigge oder ein paar allgemein Tipps.

Also: die erste Frage die meine Mutter mir heute stellte war "Wer ist Anatevka?" und die einfache Antwort lautet: es handelt sich um den Ort in dem das Stück spielt.
Der Untertitel The Fiddler on the Roof bezieht sich auf einen echten Geiger, welcher angeblich auf den Dächern spielt. Und der Geiger ist gleich mehrfach wichtig: er spielt eines der Motive des Musicals, führt auf seine Art die Paare zusammen, markiert die Unterschiede zwischen Außen- und Innenansicht und verkörpert das Thema des gesamten Stückes: "Wir alle sind Fiedler auf dem Dach. Wir versuchen eine ansprechende Melodie zu spielen, ohne uns dabei das Genick zu brechen." (ungefährer Wortlaut)
In diesem kleinen Ort Anatevka herrscht noch immer die Tradition. Und während die Zustände für die ansässigen Juden nach und nach schlimmer werden, beginnen auch die hergebrachten Bräuche zu bröckeln. Auch der Milchmann Tevje muss sich langsam damit abfinden, dass seine Töchter ihren eigenen Weg gehen, nicht unbedingt zu seiner Freude. Auch wenn man fairerweise sagen muss, dass sich Tevje mit den meisten familiären Entwicklungen zu arrangieren versteht.

Aber auch hier sollte man grob wissen auf was man sich einlässt. In der Pause habe ich aus einer Ecke gehört, die dargestellten Pogrome wären etwas, das Betroffenheit und Unwohlsein ausgelöst hat. Mir persönlich hat besonders die Vergewaltigungsszene auf den Magen geschlagen. (Es ist auch offen gestanden nichts, was ich auf der Bühne oder anderswo sehen möchte. Auf der einen Seite kann man das Thema kaum angemessen in dem Zeitrahmen verhandeln. Auf der anderen Seite passiert in diesem speziellen Handlungsstrang so viel hinter der Bühne, dass man sich die angemessene Behandlung "dazu denken" kann. Ich muss es trotzdem nicht sehen. Und das war diese Spielzeit schon das zweite Stück in dem so etwas vorkam...)

So, und jetzt kommen wir mal bitte zu dem Teil, in dem Alle eingeladen sind, mir die Operngeflogenheiten zu erklären:

Das begann mit der Dirigentin. Ich habe von so was keine Ahnung, aber angeblich ist für Frauen nur die Berufswahl als Päpstin schwerer zu verwirklichen. Mir ist es herzlich egal. Gut klingen sollte es. ABER: ich bin bisher auch immer davon ausgegangen, dass der Dirigent kommt, von einem Spot erfasst wird, man klatscht und los geht es. Das Klatschen fiel dieses Mal komplett weg. Und ich verstehe nicht so ganz warum. Sind das nicht normalerweise schon mal Vorschusslorbeeren für die Musiker, die man kaum sieht, aber eben hört und die sonst so gut wie gar kein Lob abbekommen würden? Und es ist auch so ein "jetzt geht es gleich los" Moment.
Also was bedeutet das normalerweise und warum fiel es dieses Mal weg?

Zweitens: heute hat in meiner Nähe niemand mitgesummt, dafür saßen hinter mir zwei Damen, die jeden Darsteller erst mal mit Namen identifizieren mussten.
Erstens wären für mich persönlich die Figurennamen hilfreicher gewesen und zweitens dachte ich immer in der Oper ist man still... Naja, das war nicht immer so. Die Zeiten in denen laut mitgesungen wurde sind zum Glück vorbei. Die Idee mit Gauklern und Akrobaten zwischen den Akten noch Zuschauer anzulocken hat zwar nach wie vor etwas für sich. Aber eher als nostalgisches Erlebnis, denn als echte Unterhaltung.
Aber wenn sich die allgemeinen Sitten in der Oper schon einmal geändert haben: vielleicht tun sie es ja gerade wieder. Wenn dem so ist darf mich gerne mal jemand auf den neuesten Stand bringen.

Tja, und normalerweise sind aller guten Dinge drei. Nur fällt mir gerade nicht ein was ich noch sagen wollte.
Daher ein großes Lob an die Visagisten. Es ist nicht nur faszinierend, wie man Menschen mit etwas gut platzierter Farbe um Jahre altern lassen kann, ich habe teilweise auch einen Moment gebraucht um die Gesichter wieder zu erkennen. Das lag nicht nur am Makeup, sondern auch an den vielen Vollbärten. Allein das Gesicht von Herr Köhler hatte latente Ähnlichkeit mit einem gepuderten Igel. Vielleicht hatte ich auch mal wieder Flecken auf der Brille. Wer weiß...

Doch, jetzt ist mir der dritte Punkt eingefallen.
In jeder Einführungsmatinee entlockt es dem Publikum einen Applaus, wenn die Sänger ohne Mikrofonunterstützung singen sollen. So passiert in der Einführungsveranstaltung zur Blume von Hawaii und in der Einführungsveranstaltung zu Anatevka.
Und nun habe ich wie gesagt nicht die größte Ahnung. Ja, ich finde es menschlich faszinierend, dass Manche ohne technische Unterstützung ein ganzes Orchester übertönen können und immer noch erkennbare Melodien produzieren. Ich fände es noch faszinierender, wenn das alle auf der Bühne könnten.
Ganz ernsthaft: zum Teufel mit den künstlerischen Ambitionen. Ich will verstehen was da auf der Bühne passiert. Und wenn ich aus der ersten Reihe Probleme habe die Menschen akustisch wahr zu nehmen, wird das für die hinter mir nicht einfacher.
Dann sollte man den Leuten wirklich eher ein Mikro an die Backe kleben, als sich an die eigenen Ansprüche klammern. Das ist nur meine Meinung. Wahrscheinlich habe ich gerade wieder einen Fettnapf mitgenommen. Aber bitte. Was soll das denn?

Der Rest ist persönliche Meinung.
Ich persönlich hätte mir eine andere Besetzung für Golde gewünscht. Ich mag Frau Bernsdorf. Ich möchte die Liederabende mit ihr wirklich nicht missen. Aber irgendwie hatte ich wiederholt das Gefühl ihre Stimme sticht zu sehr von den Melodien ab. Mir fehlt das Fachvokabular um das besser zu beschreiben. Aber wenn selbst mir das auffällt ist wahrscheinlich wirklich was faul.


Und natürlich ist auch das nur meine persönliche Meinung. In der Pause habe ich auch ein oder zwei andere negative Meinungen zu Einzelleistungen oder den Umbauarbeiten in der Oper aufgeschnappt, die ich hier nicht wiederholen möchte, einfach weil ich sie nicht Teile. Das Stück hat unterm Strich sehr gute Rezensionen bekommen. Das was da oben steht sind Kleinigkeiten. Mir hat das Stück weitaus besser gefallen, als es jetzt in dieser Rezension möglicherweise den Eindruck macht.
Es ist ein ernstes Thema, unterlegt mit guter Musik. Jedes Mal wenn man denkt es geht aufwärts passiert ein weiteres Unglück. Und auch wenn ich das natürlich nicht zugeben würde, ist es möglich, dass mir zwischendurch die Tränen in den Augen standen.

Mit diesen Worten lasse ich es an dieser Stelle bewenden.
Sehenswert ist es. Aber keine leichte Kost.

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