Samstag, 19. März 2011

Ballhaus

So, beginnen wir mit einem wirklichen Knaller: Ballhaus.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich es mir selbst wahrscheinlich gar nicht angesehen hätte. Aber eine der Damen von der Theaterkasse hat es so nachdrücklich empfohlen, dass ich neugierig geworden bin. Also, neugierig genug um mir eine Karte zu holen, nicht neugierig genug um mich vorher zu informieren was da eigentlich auf mich zukommen.
Und manchmal sind die besten Stücke wirklich die, die sich selbst so weit erklären, dass man eigentlich nichts dazu zu sagen braucht... wenn man sich nicht gerade in den Kopf gesetzt hätte, darüber zu bloggen.

Wir fangen mal kurz damit an was Ballhaus nicht ist: es ist kein Ballett, es ist kein Ausdruckstanz (was mich am meisten beruhigt hat) und es ist keine moralische Unterweisung (was ich im Bezug auf das Thalia sehr erfrischend finde.)
Schwieriger wird es zu umschreiben was das Stück ist.
Auf der einen Seite handelt es sich um eine sehr minimalistische Geschichte der letzten 80 bis 90 Jahre. Die Musik aus den entsprechenden Jahrzehnten spielt genauso eine Rolle wie die je aktuellen Gesellschaftstänze. Im Grunde wird fast nur getanzt. Es gibt in dem Sinne keinen Text. Und gleichzeitig läuft die Geschichte dieser Jahrzehnte noch einmal vor unseren Augen ab.
Das Ganze wird tatsächlich auf eine so bemerkenswert simple und effektvolle Art miteinander verbunden, dass man von vertanzter Geschichte reden könnte - auch wenn ich zugebe, das mich das bestimmt nicht ins Theater ziehen würde, wenn mir jemand ein Theaterstück so anpreisen würde.
Sehenswert ist es trotzdem - aber es handelt sich um eines der Stücke bei denen man sich wirklich Mühe geben sollte seinen persönlichen Lieblingsplatz zu ergattern. Es passiert immer etwas mehr als man mit einem Blick erfassen kann, ganz gleich wo man sitzt.
Wer hier lieber einen Platz mit Überblick möchte sitzt weiter hinten; wer das was er sieht klar sehen möchte sitzt weiter vorne und für mich ist in erster Linie wichtig, dass der Hauptteil der Informationen mein Hirn über das linke Auge erreichen. (Erklären würde hier zu weit führen, ist aber wirklich so.)

Schauen wir mal, ob ich euch das etwas schmackhafter machen kann:

Das Bühnenbild ist recht offen: es gibt zwei große Showtreppen im Hintergrund, davor noch eine kleine Live-Band, links ein Reihe Stühle, rechts eine Bar und ganz links vorne eine Toilettenkabine. Und in der Mitte viel Platz zum Tanzen.
Wir beginnen mit dem Einmarsch: erst die Damen, dann die Herren. Gefolgt von den ersten, etwas unsicheren Annäherungsversuchen. Und auf geht der wilde Tanz durch Jahrzehnte.

Und das eigentliche Problem ist, dass ich an der Stelle gar nicht so viel verraten möchte.
Bis zur Pause haben wir die Nazis, den zweiten Weltkrieg, die zwischenmenschlichen Folgen und sogar die Russen hinter uns gebracht. Und die Wahrheit ist, dass ich zu den Menschen gehört habe die ein wenig irritiert durch die Gegend geschaut haben warum keiner seiner Jacke nimmt und warum die Schauspieler nicht noch mal für einen Schlussapplaus heraus gekommen sind. Dann wäre es eben eines "dieser" Stücke gewesen. Damit hätte sich auch leben lassen.
Aber das geht nach der Pause weiter. Und ich möchte beim besten Willen niemandem die Erfahrung rauben da zu sitzen und irgendwo zwischen irritiert und amüsiert zu denken "Die bringen jetzt nicht wirklich dieses Lied, oder? Das glaube ich einfach nicht." Die Auswahl passt wirklich hervorragend. Und sie ist so universell, dass im Raum wirklich alle mitgekommen sind. Gut, das eine Lied von Silly musste ich im nachhinein erst mal suchen, aber ansonsten... absoluter Hammer. Hervorragend getanzt. Den Reaktionen der älteren Semester nach zu urteilen wurde das Zeitportrait auch wirklich gut getroffen.
Das Stück ist einfach in sich rund und der absolute Hammer.

Mal abgesehen davon dass wirklich alle Darsteller umwerfend waren:
Frank Schilcher, absolut verdient in der Hauptrolle.
Julia Zabolitzki, in einer wirklich hervorragenden Gesangsrolle.
Heidemarie Schneider, absolut beeindruckend, so wie alle anderen auch.
Aber der heimliche Star des Abends war eindeutig Florian Ulrich Stauch. Schon vor dem Stück informiert ein Schild an der Garderobe, dass er auf Grund einer Knie-OP im Moment nur bedingt einsatzfähig ist und seine Rolle daher auf zwei Darsteller aufgeteilt wurde. Er spielt nach wie vor den Wirt und Posaune und alle weiteren Aufgaben werden von einem weiteren Schauspieler übernommen. (Und es tut mir an der Stelle wirklich leid, dass ich mir nicht gemerkt habe wer das war, denn die Homepage der Bühnen Halle ist da im Moment keine wirkliche Hilfe.)
Und es ist mir egal, wie das Stück mal inszeniert war: die Version ist einfach genial. Mit einem Gesichtsausdruck irgendwo zwischen stoisch, höflich distanziert und 'Was geht's mich an?' bildet er den absoluten Ruhepunkt des Stückes. Alles was er tun muss ist eine Kinnbewegung andeuten oder mit der Krücke zeigen und sein Adlatus weiß was er zu tun hat. Dabei ist es vollkommen egal ob getanzt wird, die Nazis gerade die Welt in Trümmern legen oder die 68er übereinander herfallen: dieser Gesichtsausdruck bleibt.
Einfach Hammer.

Und dann nur noch zwei kleine Hinweise, dann habe ich wirklich lange genug an diesem Beitrag gesessen:
Wer beim Zuschauen noch ein oder zwei Sekunden Luft hat, kann den Blick immer wieder mal Richtung Theke schweifen lassen. Abhängig von der Epoche steht dort der eine oder andere zeitgenössische Musikapparat. Ein wirklich sehr schönes Detail, bei dem es schade wäre es komplett zu übersehen.

Und wer in der Pause absolut nicht weiß wohin mit sich: einfach mal sitzen bleiben und Lauscher aufstellen. Ich weiß beim besten Willen nicht wann ich zuletzt so viele unterschiedliche Frauen erlebt habe, denen es ein wahres Grundbedürfnis war zu diskutieren wie süüüüß/ niedlich/ gutaussehend/ beeindruckend oder sonst was einzelne Darsteller waren. Und ich versichere: ein beträchtlicher Teil von denen hat die Pubertät irgendwann im letzten Jahrtausend hinter sich gebracht...

So, es bliebt dabei: unbedingt ansehen! Das war richtig gut.
Und da immer noch nicht 100prozentig sicher ist, ob das Thalia bestehen bleibt, gilt es dass am Besten noch diese Spielzeit zu schaffen.

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