Donnerstag, 10. März 2011

"Mein" Thalia

Ich war am Samstag übrigens tatsächlich im Thalia Theater und habe mir die Disukssionsrunde Keine Kultur bei klammen Kassen? angesehen. Und, seien wir ehrlich, es war eine Wahlkampfveranstaltung mit Talkshow Charakter.
Claudia Roth meinte, dass sie sich für den Erhalt des Thalia Theaters stark machen möchte und zwei Tage später geistert durch die MZ, dass die Grünen jetzt aktiv am Hausvertrag mitduskutieren wollen. Oder so was ähnliches. Ich habe das nur überflogen. Denn am Ende war der Abend im Thalia zwar menschlich nett gemacht, aber inhaltlich wenig erhellend.

Aber, zumindest den Nebeneffekt hatte es: ich habe angefangen meine Position gegenüber dem Thalia mal zu überdenken.

Ich habe mich da am Dienstag mit S. darüber unterhalten und irgendwie stand plötzlich die These im Raum: Im Thalia gibt es irgendwie kein dazwischen. Im nT und in der Oper und in kleinerem Rahmen auch im Puppentheater gibt es viele Stücke, die, wenn sie schon nicht umwerfend gut sind, doch immer noch im guten Mittelfeld rangieren. Man verläßt das Theater vielleicht nicht als grundlegend neuer und geläuterter Mensch und man denkt auch nicht zwingend ewig über das nach was man da gesehen hat; aber es passiert ganz, ganz selten, dass man sagt etwas wäre eine absolute Zeit und Geldverschwendung gewesen. Im Thalia - zumindest in meiner Erinnerung - sind die Stücke entweder absolute Volltreffer, oder es geht komplett in die Binsen. Es gibt kein Dazwischen. Und auch wenn sich beides in meiner Erinnerung ungefähr die Wage hält, habe ich meine Meinung über das Thalia immer auf die Male gestützt, in denen es schief gelaufen ist.

Ich hatte mich vor einer Weile mal mit Y. über die Schließung des Theaters unterhalten und wir erinnerten uns beide noch sehr verschwommen an eine Aufführung die wir mal mit der Schule besuchen mußten. Keiner weiß mehr worum es ging, nur dass es uns nicht wirklich gefallen hat, darin waren wir uns ziemlich schnell einig.
(Und schon habe ich wieder den Jungen vor Augen, der nach der Vorstellung von Des Kaisers neue Kleider in der Oper lautstark verkündete, dass er nie wieder in dieses Haus gehen würde. Manchmal hat man bei so was nur einen Versuch und wenn der nicht zündet, dann war es das.)

Ich habe mir damals für einen Freund noch eine Menge mehr im Thalia angesehen.
Da war der Brotladen in der Rolltreppe. Brecht - zu dem ich eh ein sehr gespaltenes Verhältnis unterhalte - und Sprechchöre, in einem Gebäude das akkustisch beim besten Willen nicht dafür ausgelegt war. Rausgeworfenes Geld.
Die Faustinszenierung, der man nur folgen konnte, wenn man vorher das Stück gelesen hatte.
Hühner Manhatten. Das erste Mal in Deutschland. Und?
Und dann war da noch irgendwas mit Giraffenkind. Wir haben beide eigentlich erst in der letzten Viertelstunde verstanden was wir da sahen. Das kann auch mal nett sein. Ein bißchen wie die fünf Minuten, die man nach dem ersten Sehen von Die üblichen Verdächtigen braucht um alles neu zu ordnen, zu kontextualisieren und auf die Zusammenhänge hin zu überprüfen. Das ist ein Mal ganz nett. Aber nicht der Hauptgrund weswegen man ins Theater geht.
Irgendwo dazwischen habe ich zu ihm gesagt, dass ich mir das nicht weiter antun werde.
Auch wenn mir der absolute Super-Gau erst noch bevor stand: König Macius. Ich glaube die Kinder haben das vollkommen unbeschadet überstanden. Ich glaube selbst die Schauspieler sind aus der Nummer recht gut wieder heraus gekommen. Ich weiß dass der Regisseur auf jeden Fall zufrieden war. Nur mir dreht sich heute noch der Magen um wenn ich daran zurück denke. Wo sind eigentlich Pädagogen wenn man sie mal wirklich braucht?

Aber wegen irgendwas muß man das doch alles durchgehalten haben. Warum ist man nicht schon nach dem ersten Mal auf Nimmer Wiedersehen verschwunden? Aus Freundschaft? Nicht nur.

Denn das was zwischendurch gut war - egal wie weit ich das bisher verdrängt hatte - das hat richtig rein gehauen.
Im Verrückten Kaufhaus am Markt habe ich mir, trotz latenter Sozialphobie, einen Lippenstiffabdruck von einer vollkommen Fremden auf die Wange knutschen lassen und bin den Rest des Abends damit herum gelaufen. Wen kümmerts? Ganz bestimmt nicht den Schauspieler, der mit Langmut ertragen hat, dass ich seine Rezitation des Osterspaziergangs mitgesprochen habe, als wäre das vollkommen normal.
Im Hotel Neustadt habe ich meinen damals wirklich lädierten Zeh freiwillig in Fitwasser gehalten. Nicht weil es gesund war, sondern weil es als kostenloses Wellness-Fußbad durchging. Und ich habe gegen einen Bären Schach gewonnen. Der Bär muß wirklich schwer versucht haben mich los zu werden, denn ich bin normalerweise ein miserabler Schachspieler. Aber ich habe gewonnen, und das ganze noch in unter 10 Zügen. Wer kann das schon von sich behaupten?
Und dann haben sie im Volkspark noch mal etwas ähnliches aufgezogen. Ich habe laut und schief gesungen, weil ich viel zu spät mitbekommen haben, dass das ganze Haus zuhören konnte. Und ich habe mir damals aus reiner Blödheit beim Sandsackboxen eine Wunde an der rechten Hand zugezogen. Man sieht es nur wenn man wirklich genau hinschaut, aber die Stelle ist heute noch heller als der Rest meiner Hand.
Ich hätte auch sehr gerne die Kinderstadt mitgenommen, aber dafür war ich leider schon zu alt, als sie endlich hier in Halle ankam.

Und natürlich hat diese Art von Mitmachtheater einen ganz eigenen Reiz. Keiner unserer Eltern hätte sich das freiwillig angetan. Es hätte mit Eltern auch nur halb so viel Spaß gemacht. Das hat für ein paar Stunden wirklich mal nur uns gehört. Und das wird um so wertvoller, wenn man mal die Ehrlichkeit aufbringt, einzugestehen, dass wir als Hallenser nicht wirklich dazu neigen aus uns heraus zu gehen oder uns selbst überbordende Fröhlichkeit zu erlauben. Und ein Tag wirklich Narrenfrei im Jahr, der nicht von Jetzt fliegen gleich die Löcher aus dem Käse begleitet wird, kann da zu einem echten Geschenk werden.

Aber es ist ja nicht nur Mitmachtheater. Eine der klarsten Erinnerungen an einen Theaterbesuch habe ich im Zusammenhang mit einer Thalia Inszenierung. Es würde mich jetzt etwa zwei Stunden kosten den Reclam Schauspielführer es dem Regal zu zotteln und von hinten nach vorne durch zu blättern, bis ich den Titel wiedergefunden hätte. Die Zeit habe ich im Moment nicht mehr. Und es ist im Grund auch unwichtig.
Das ganze fand in einer leerstehenden Plattenwohnung direkt am Markt statt. Wir sind da rein gekommen. Jedem von uns wurde ein Glas Rotwein in die Hand gedrückt, ohne dass es wen gekümmert hat ob wir schon 16 waren. Freilich waren wir's. Aber das hat an dem Abend keinen gekümmert. Wahrscheinlich weil wir sonst um die Zeit eh nicht mehr ins Theater gedurft hätten, wenn es nicht der Fall gewesen wäre.
Ich habe die Karten nicht besorgt. Ich weiß noch nicht mal ob sich überhaupt wer darum gekümmert hat wie alt wir sind.
Also saßen wir drei einfach da, jeder ein Glas Rotwein in der Hand, und sind von einem Zimmer ins andere gegangen. In jedem Zimmer saß ein Schauspieler, hat durch alle Anwesenden hindurch gesehen und irgend eine Geschichte erzählt, so als würde er sie nur sich selbst in Erinnerung rufen und nicht auch uns preisgegeben.
Und irgendwo dazwischen saß ein Mann, ohne die leiseste Gefühlsregung und erklärte dass er sein Kind umgebracht hat. Die Polizei hält es für einen Unfall. Und ihm blieb keine Wahl. Er hatte mitbekommen, dass er entlassen werden sollte. Auf keinen Fall wäre er in der Lage gewesen seine Frau und alle Kinder durchzubringen. Eins weniger würde da schon einen Unterschied machen. Also hatte er es beim Mittagsschlaf unter die Decke krabbeln lassen und immer weiter krabbeln lassen. Und als es an der anderen Seite endlich angekommen war, hatte er es noch einmal umgedreht und wieder zurück krabbeln lassen. Irgendwo dazwischen ist es dann einfach erstickt. Die Polizei hält es für einen Unfall. Und ein Kollege hat ihm erzählt er sollte eigentlich befördert werden, aber das wäre nicht ganz das richtige für einen trauernden Vater. Deshalb sitzt er jetzt immer noch in seiner Abteilung. Nur seine Frau, die hatte ihn so komisch angesehen. Fast so als ahnte sie etwas...
All das ohne Wertung. Auch nicht selbstgerecht. Nur erzählend.
Diese eine Episode hat vielleicht 15 Minuten gedauert. Wenn überhaupt. Aber sie hat für mich mehr Fragen über richtig und falsch aufgeworfen als die gesamte Clockwork Orange Inszenierung.
Allein die Tatsache, dass ich mich 8 bis 10 Jahre später immer noch so gut daran erinnern kann, zeigt wie mich das beschäftigt hat.
Wahrscheinlich habe ich in diesem Beitrag sogar mehr über mich preis gegeben als über das Theater.
Aber ich bin dankbar für diese Erinnerungen.
Mehr für die zweite Hälfte als für die erste. Aber wenn ich als Vergleich einmal Die Singenden Rucksäcke heran ziehe, von denen ich weiß dass sie sehr lustig waren und mir gut gefallen habe, dann muß ich sagen, dass ich mich nicht einmal mehr an den Inhalt der Rucksäcke erinnern kann.
Die Fetzen, die ich weiter oben beschrieben habe, sind vielleicht auch keine vollwertigen Erinnerungen. Nichts woran man objektiv festmachen könnte, ob das Stück nun gut war oder nicht oder ob ich vielleicht einfach nur nichts mit dem Inhalt anfangen konnte.
Aber mit all dem da oben verbinde ich nach wie vor Geschichte aus meinem eigenen Leben. Und die Geschichten sind schon eine ganze Weile her.
Ich persönlich hoffe, dass Edgar Allan Poe auch in 10 Jahren noch ein paar Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen haben wird. Ob ich mich dann aber noch an die 39 Stufen erinnern kann, an Des Knaben Wunderhorn, Lulu, Ernst sein ist Alles... wobei, doch Oscar Wilde dürfte bleiben, damit verbinde ich mittlerweile auch genug Geschichten. Dann hat vielleicht sogar die Dorian Grey Inszenierung des Puppentheaters Chancen nicht einfach von meiner Festplatte zu verschwinden.
Aber so sehr ich Kultur brauche, so sehr die Bühnen Halle ein unverzichtbarer Bestandteil meiner Monatsplanung geworden sind, so viele Bildungslücken ich auch in den letzten anderthalb Jahren spielerisch und ohne bewußte Anstrengung geschlossen habe, so weit sich mein musikalischer Horizont auch zu meiner eigenen Verblüffung erweitert hat: ohne das Archiv auf der rechten Seite wüßte ich teilweise nicht mehr was ich letzten Monat gesehen habe. Wenn mir einer gegenüber den Titel erwähnen würde, würde ich mich sicher daran erinnern, dass ich da war und wie ich es fand.
Aus dem Stand nach dem empfehlenswertesten Stück gefragt, würde wahrscheinlich Heute weder Hamlet antworten. Vieles von dem ganzen Rest war wirklich gut, wirklich sehenswert, aber eben nichts dass sich in mein Gedächtnis eingegraben hat.
Natürlich ist das auch Subjektiv. N. war von den Gefährlichen Liebschaften hin und weg, während ich sie eher "o.k." fand und C. sich köstlich amüsiert hat.

Aber um auf den Punkt zu kommen: ich erinnere mich noch an fast alle Stücke die ich jemals im Thalia gesehen habe. Ich erinnere mich sogar noch an diese komische Eierburg, die sie mal vor dem Kleinen Thalia aufgebaut hatten.
Das ist in sich eine honorierenswerte Leistung, die dazu führt dass ich mich zu folgendem, noch vor einem Jahr vollkommen undenkbaren Statement hinreißen lasse:
Nur weil ich das Thalia meide, ich starke Vorbehalte habe oder ich das Programm nicht mag, heißt dass nicht, dass es in Ordnung ist, wenn dieses Theater stirbt. Es ist Teil meiner Biographie. Und es hat eine Reihe gute, aber vor allem jede Menge nachhaltige Erinnerungen zu meinem Leben beigetragen.
Es ist ein Angebot, dass auch heutigen Kindern erhalten bleiben sollte. Sie müssen es nicht mögen. Sie müssen es nicht zwingend nutzen. Wenn sie es für sich selbst entdecken, hat es einen viel größeren Eigenwert, als wenn sich jemand hinstellt und sagt: du mußt aber.

Es sollte erhalten bleiben. Nicht aus Prinzip, weil keiner es je wieder aufmachen würde, wenn es einmal dicht ist. Sondern als Selbstzweck. Als Reibungspunkt und um sich selbst positionieren zu können.

Und das sage ich, obwohl die Diskussionsrunde vor allem eines deutlich gemacht hat: die unzähligen Studenten, die mittlerweile ins Thalia kommen, hat die Intendantin gar nicht auf dem Schirm. Da war nur die Rede von "die Jugendlichen" und "die Randgruppen".
Vielleicht ist dass der Grund, warum es nie wirklich ein Theater für mich sein wollte.
Ich habe es trotzdem in meine Biographie integriert. Und bin heute glücklich darüber. Auch wenn es nicht immer einfach war.


Am Ende bin ich sogar bereit einzugestehen, dass mein Erinnerungswürdig ein genauso schwammiger Begriff ist wie Claudia Roths "es muß mich berühren".

Aber dieses latent konfuse Gestammel ist meine ehrlich Meinung. Heute ohne Zusammen Gestreiche, ohne noch mal Lesen und Blöd finden und umstellen und bis heute Abend sogar ohne Rechtschreibkorrektur, weil ich jetzt weg muß und wenn ich nicht den Veröffentlich Button drücke, finde ich vielleicht Gründe das hier nie zu veröffentlichen.
Wahrscheinlich interessiert es noch nicht mal jemanden.
Aber mir war es die Zeit wert, im Rahmen des mir möglichen, meine persönliche Meinung öffentlich zu vertreten.

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