Sonntag, 27. März 2011

Der Boss vom Ganzen

Faire Warnung: diese Rezension hat einen inoffiziellen Alternativtitel. Dieser lautet: "Warum ich Lars von Trier nicht lustig finde". Nur damit schon mal grundlegend angedeutet ist aus welcher Perspektive ich hier schreibe. Es war nicht ganz so schlimm wie das jetzt vielleicht klingt, aber dank dieser Ansage kann ich mich jetzt selbst von dem Anspruch entbinden meine persönliche Meinung in übermäßig diplomatische Worte zu packen.

Aber fangen wir einfach mal an: worum ging es denn gestern überhaupt?


Ravn (als Raun ausgesprochen) hat ein kleines Problem mit Konflikten. Und daher hat er seit Jahren alle unangenehmen Entscheidungen einem anderen in den Mund gelegt: dem Boss vom Ganzen. Das ging bisher auch recht gut. Aber nun will Ravn die Firma verkaufen. Und dazu muss der Boss persönlich unterschreiben. Ein etwas unterbeschäftigter Schauspieler, mit einer Vorliebe für einen fiktiven absurden Dramatiker namens Antonio Stavros Gambini, wird dafür engagiert. Kristoffer bemüht sich redlich die Rolle mit Leben zu füllen. Und erhält eine unerwartete Vertragsverlängerung, als der Isländern, an den die Firma verkauft werden soll, darauf besteht die Verhandlungen nur mit dem Boss und auf gar keinen Fall mit seinem 'Handlanger' Ravn durchzuführen.
Und weil die Gelegenheit günstig ist, lernt auch der Rest der Firma mal den Boss kennen.
Kristoffers eigentliches Problem ist dabei nicht, dass die vier am längsten Angestellten - Heidi A., Lise, Gorm und Nalle - einige nachvollziehbare Antipathien gegen ihn hegen, sondern vielmehr dass er mit einem ständigen Informationsdefizit arbeiten muss. Jeder hat ein anderes Bild vom Boss. Und so muss nicht nur ein Nachname aus dem Stegreif improvisiert werden, sondern auch die eine oder andere Konversation, bei der er teilweise erst zum Schluss versteht, auf was er sich da überhaupt eingelassen hat.
Und dazu kommen über kurz oder lang auch moralische Skrupel, da Ravns Plan vorsieht, die Firma zu verschachern, ohne seinen Freuden dafür einen einzigen Cent zu überlassen.
Und nun stellt sich natürlich die Frage, ob man all das nicht vielleicht doch noch irgendwie umgehen kann.

Das klingt doch in sich erst mal sehr vielversprechend. Wo soll hier also ein Problem sein?

Das Ganze fängt damit an, dass es sich hier eigentlich um die Adaption eine Filmes handelt. Den habe ich nicht gesehen, den will ich ehrlich gesagt auch nicht sehen. Der Punkt ist einfach nur, dass wahrscheinlich allein deswegen Zitate versteckt sind, die mir schon mal komplett verloren gegangen sind.
Dann habe ich nur eine äußerst überschaubare Ahnung von Lars von Trier, hatte aber mal das zweifelhafte Glück mich mit Dogma 95 auseinander setzen zu müssen, was ihn mir nicht unbedingt sympathischer gemacht hat. Das hat hiermit wahrscheinlich nur am Rande zu tun, erlaubt mir aber halbwegs einzuordnen wie der Film wahrscheinlich war. Und welche Maßstäbe man im großen und ganzen an das Stück anlegen kann, wenn man nur will. Und wenn es dann im Stück selbst heißt, das Leben sei wie ein Dogma Film... Naja.
Aber irgendwie stellt sich grundlegend die Frage, ob man Filmkonventionen auf der Bühne überhaupt verletzen kann, also lassen wir das Thema an der Stelle.

Wirklich schlimm wird das ganze eh erst, wenn wir auf meine kaum vorhandenen Geschichtskentnnisse zu sprechen kommen. Die meisten Personen in diesem Stück sind Dänen, deren Firma von einem Isländer aufgekauft werden soll. (Habe ich mir nicht gemerkt, das schreibe ich gerade von Wikipedia ab.)  Und die müssen untereinander sehr starke kulturelle Konflikte haben.
Ich meine, das ganze wurde hervorragend gelöst. Jörg Lichtenstein spricht, so weit ich das überblicken kann, seine gesamte Rolle in Isländisch. Eine hervorragende Leistung. Und neben ihm sitzt, vom Gebaren her recht stilecht, Hannelore Schubert als Übersetzerin. Dabei kommen immer wieder Spitzen gegen die Dänische Mentalität. Da waren ein paar verbale Entgleisungen dabei, die wirklich hervorragend waren, jetzt mal rein von der Formulierung her. Aber mir fehlt jede Form des kulturellen Verständnisses, wie ich das einordnen soll.

Und was es auch nicht einfacher macht, ist die Tatsache, dass es sich hier um eine IT Firma handelt. Ich weiß, dass Nerds mittlerweile salonfähige Sitcom Stars geworden sind. Und im Grunde sehen zumindest Heidi A., Gorm und Nalle wie die reinsten Klischeebilder aus.
Georg Stohbach ist als Nalle die mehr oder weniger undankbare Aufgabe zugefallen, sämtliches Verwaltungskauderwelsch herunter zu beten und die berechtigten, aber nicht unbedingt hilfreichen Definitionsfragen zu stellen. Ich war bei solch hirnrissigen Diskussionen schon dabei, die sich praktisch in jedem Moment selbst parodieren. Wer aber schon mindestens vier oder fünf Abende seines Lebens mit so was verschwendet hat, kann darüber nicht mehr lachen, ganz gleich wie absurd das auch sein mag.

Apropo absurd, bevor das hier wieder viel zu lang wird, was es ja im Grunde schon ist:
Absurd ist das einzige Wort, mit dem man dem Stück gerecht werden kann. Da wir den Großteil der Zeit Kristoffer folgen, der allen anderen unter dem Namen Svent vorgestellt wurde, wissen wir generell auch nicht mehr als er. Mit einem guten Gespür für Klischees kommt man hier prinzipiell weiter, aber auch wenn die Richtung stimmt steht man oft genug noch im Wald und sieht verständnislos einem Haufen Leuten dabei zu, wie sie aneinander vorbei reden.
Wer spontan das Gefühl hat 'Geil, genau mein Humor.' der soll hin gehen. Mein Humor ist es leider nicht.

Das heißt nicht dass das Stück schlecht ist. Wolf Gerlach als Ravn ist durchaus sehenswert, mal ohne den schrillen Unterton, der mich sonst immer so kirre macht, und teilweise mit einem Gesichtsausdruck der nahe legt, dass er einen Vertrag seine Großmutter zu verkaufen vielleicht nicht selbst unterschreiben würde, aber ihm würde sicherlich eine Lösung einfallen. Gleichzeitig noch als harmoniesüchtiger Knuddelbär zu gelten ist da durchaus eine Leistung.
Und Matthias Zeeb als langhaariger BWL Verschnitt mit raumgreifender Körpersprache und einem Haufen Theatertheorien ist genauso absurd wie der ganze Rest.
Petra Ehlert gibt die graue Maus mit orangenen Haarsträhnen.
Johanna Steinhauser gibt den Anwalt Kisser, oder wohl eher die Anwältin, mit einer tatsächlich sehr fragwürdigen Essensgewohnheit.
Und Sophie Lüpfer hat die Körpersprache einer Klischeeblondine und das Auftreten einer sehr... zielgerichteten Frau, um das mal so zu formulieren.

Wahrscheinlich gibt es sogar zig Arten dieses Stück zu interpretieren. Angefangen beim Kommentar zur aktuellen Wirtschaftslage, bis zu hin zu einer facettenreichen Anspielung auf Theatermechanismen.
Ich bin mir außerdem fast sicher, dass es die MZ über den grünen Klee loben wird. Also brauche ich mich an der Stelle auch nicht weiter zu verausgaben. Wer irgendwo weiter oben dachte 'Das ist genau mein Humor! Da gehe ich hin!' der wird hier seinen Spaß haben. Ein paar Lacher zünden auf jeden Fall. Und im Grunde hat es diese Faszination eines Autounfalls, bei dem man genau weiß was als Nächstes passiert, und man kann doch nicht weg schauen.
Aber ich für meinen Teil muss das auf jeden Fall nicht noch einmal sehen. Hervorragend gespielt und alles, aber einfach nicht mein Geschmack.
Den Leuten die gestern in der Werft des nT waren hat es aber alles in allem gefallen. Der Applaus war hinreichend heftig. Und da in die Werft ja doch eine recht überschaubare Menge an Menschen passen, denke ich auch mal, dass die Hallenser das Stück eine Weile auf dem Spielplan unserer Stadt halten werden. Egal welche Meinung ich persönlich hier vertrete.

2 Kommentare:

  1. Ich werde am 2. 06. hingehen u. mir das Ganze ansehen, hab im Netz nach Infos gesucht u. bin tatsächlich auf die hallesche Inszenierung gestoßen! Bin mal gespannt, zumal im Anschluss eine Disskussion stattfinden soll, bei die jüngsten Äußerungen L.v. Triers in Cannes ("ich bin ein Nazi") gewertet werden sollen.

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